Meret Becker sings chansons by Barbara in Berlin

Meret Becker sings chansons by Barbara in Berlin

Das Lied galt bald als wichtiger Beitrag zur deutsch-französischen Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Menschen hier wie dort liebten es. Man kannte „Göttingen“, aber kannte man Barbara? Und kennt man sie noch heute? Man sollte es, nein, man muss es, findet die Schauspielerin und Sängerin Meret Becker und hat ihr darum ein ganzes Konzert gewidmet: „Nachtblau – Chanson für eine Abwesende“. Es ist ein Wunsch aus Kindertagen, seit sie Barbara im Fernsehen sah und von ihr gleich fasziniert war. Zusammen mit dem Pianisten Dietmar Loeffler hat sie ihn sich jetzt in Berlin im Tipi am Kanzleramt erfüllt.

Mit expressionistischem Spiel heller Hände

Wer Meret Becker mit dem Song „Ein Tag wie Gold“ aus der TV-Serie „Babylon Berlin“ im Ohr hat, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Wenn man die Augen schließt, könnte man mitunter denken, es stünde tatsächlich Barbara auf der Bühne, so nahtlos hat sich Becker den polymorph gebrochenen Gesangsstil und die unkonventionelle Vortragsweise anverwandelt. Sie flicht biographische Anmerkungen und ein paar lockere Conférencen ein, übersetzt Textpassagen oder ­erzählt, dass Barbara die erste Chansonnière war, die eigenes Material sang – und eine Weile brauchte, um dies öffentlich zuzugeben, so ungewohnt war das damals.

„Auf alle Frauen, die singen!“, stößt Meret Becker quietschvergnügt mit dem Publikum an und fängt improvisierend die Melancholie und Schwermut auf, die Barbaras Werk durchziehen. In einem apart zerfetzten schwarzen Kleid, die Haare meist straff zurückgebunden, erweckt sie die Chansons gern mit dem expressionistischen Spiel ihrer hell hervortretenden Hände zum Leben, lässt sie in der Art von Erich Heckel oder Egon Schiele sprechen, träumen, scharwenzeln. Während Barbara bei ihren Auftritten am Klavier saß, nimmt Meret Becker leichtfüßig die ganze Bühne in Beschlag, steigt ihrem Pianisten aufs Instrument, tanzt sich bei „Je ne sais pas“ in einen betörenden Musettenwalzer hinein, wirft fiktive Tagebuchseiten aus Barbaras Jugend zu Boden.

Mit der ganzen Palette ihrer Talente

Es geht um unglückliche Liebe, Einsamkeit und existenzielle Vergeblichkeit. Der Missbrauch als knapp Elfjährige durch den Vater, dessen Tod die Chansonnière in „Nantes“ dennoch herzzerreißend nachspürte, wird allerdings nicht erwähnt. Mit ihrer vokalen wie physischen Ausdrucksakrobatik durchmisst Meret Becker den Kosmos der schwarzen Poesie von Barbara, genießt dabei die generöse Begleitung von Dietmar Loeffler. Der hat überdies die passgenauen Arrangements geschaffen, wenn später Marie-Claire Schlameus am Cello und Uwe Steger mit dem Akkordeon einsteigen. Da wird die Musik breiter gefächert, die Beleuchtung bunter, und die Lieder entfalten sich zu szenischen Miniaturen mit hübschen Requisiten wie Regenschirm oder Strumpfband.

Die großen Erfolge von „La Solitude“ über „Une petite cantate“ bis zu „Au bois de Saint-Amants“ sind natürlich im Programm, auch Gutes, weniger Gängiges, alle von Meret Becker wunderbar intensiv interpretiert – mal mit voller Röhre und empathischem Vibrato, mal heiser geflüstert und lächelnd ziseliert. Leidenschaftlich wie demütig stellt sie sich mit der ganzen Palette ihrer Talente dem Œuvre von Barbara zur Verfügung, wovon beide glorios profitieren. Der reichhaltige Abend ist wie eine Séance zwischen Noblesse und Weltschmerz, in der alte Polaroids in Form exquisiter Chansons wieder ihre Farbe, Gestalt, Gegenwärtigkeit zurückbekommen. „Der Traum ist aus, mach dir nichts vor!“, ruft Dietmar Loeffler einmal mit Barbaras Worten Meret Becker zu. Nein, kontert jede ihrer Noten, Gesten, Sätze: niemals!

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