Zur aussterbenden Spezies in der klassischen Musik gehört der Universalist: ein Dirigent zum Beispiel, der mal eine Symphonie von Wolfgang Amadé Mozart dirigiert, mal eine Oper von Richard Wagner oder Giacomo Puccini, mal das Stück eines zeitgenössischen Komponisten. Die Beschäftigung mit der historischen Aufführungspraxis hat viel Gutes gebracht, sie hat aber auch ein Grundvertrauen zerstört, dass stilistische Empathie oder schlicht die Liebe zu einem Stück ausreichen können, um seiner Machart gerecht zu werden. Der Erfolg der Originalklang-Revolution ist so durchschlagend, dass das Repertoire von Barock bis mindestens Beethoven heute bereitwillig den Spezialisten überlassen wird – da hat bei den Interpreten durchaus die Angst um sich gegriffen, sich als uninformiert oder gar als rückständig angreifbar zu machen.
Er gehört zu den Mutigen
Sir Donald Runnicles, der diesen Samstag siebzig Jahre alt wird, gehört zu den Mutigen, die nach wie vor nicht nur ihrem Wissen vertrauen möchten, sondern auch ihrem Empfinden. Was sich nach einem gegenaufklärerischen Zug anhört, ist im Fall von Runnicles nichts anderes als tief empfundene Zuneigung zu den Stücken, die er – den Taktstock in der linken, nicht in der rechten Hand – dirigiert.
Die Weite des Repertoires und die geschmackliche Sicherheit, mit der er den unterschiedlichen Stilen ganz intuitiv gerecht wird aus einer Haltung unbedingter Zuwendung heraus, sind erstaunlich. Eine energisch federnde, liebevoll ausformulierte „Così fan tutte“ von Mozart ließ sich an der Deutschen Oper ebenso erleben wie ein „Fidelio“ von Ludwig van Beethoven, bei dem warmer Klang und Klarheit der Gestaltung ins Gleichgewicht kamen. In die verschachtelte Logik der vierten Symphonie von Jean Sibelius vermag Runnicles ebenso Licht zu bringen wie er die feinen Klangmischungen in der Musik von Aribert Reimann beleuchtet. 2017 brachte er dessen Oper „L’ Invisible“ in Berlin zur Uraufführung.
Bei der Musik von Richard Strauss und Richard Wagner zeigt der gebürtige Schotte seinen Sinn für klangliche Wärme, für dramatischen Fluss und für musikalische Intensität. Gerne wird Runnicles dann auch diesem Repertoire-Bereich als „Spezialist“ zugeordnet. Aber das ist deutlich zu kurz gegriffen für jemanden, dessen melancholische Emphase und handwerkliche Sorgfalt keine Stilgrenzen kennt.
Dringend nötige Stabilität
An der Deutschen Oper Berlin hat er damit zu einer enormen Erweiterung des Repertoires beigetragen und dem Haus wie dem Orchester mit ruhiger Hand künstlerische Stabilität gegeben, die dringend nötig war nach den Wirren um Christian Thielemanns Abgang 2004. 2026 wird sein Vertrag in Berlin enden, bereits in der kommenden Saison wird er die Position als Chefdirigent der Dresdner Philharmonie antreten.