Es sind klassische Fragen der Paartherapie: „Wer von Ihnen ist eher bereit, bei einem Streit auf den anderen zuzugehen, nach dem ersten Wort zu suchen, um Verzeihung zu bitten? Wer von Ihnen sucht die körperliche Nähe, die Berührung? Wer weicht aus oder verweigert sich?“ Für den mit Preisen überhäuften und in vielfacher Hinsicht ausgezeichneten Film-, Hörspiel- und Opernregisseur Axel Ranisch sind das auch zentrale Fragen in seiner Inszenierung von Richard Strauss’ „Intermezzo“ an der Semperoper Dresden. Der Hofkapellmeister Robert Storch und seine Frau Christine gehen verbal nicht gut miteinander um. Es ist eine Gemengelage mühsam kaschierter Vorwürfe, angestauter Frustration und Minderwertigkeitsgefühle in ihren Dialogen, in denen sie einander ständig etwas heimzahlen müssen. Und doch!
Ranisch beschreibt deutlich: Es gibt eine wechselseitige körperliche Anziehungskraft zwischen ihnen, ein Zueinander-Müssen, ein Nichtloslassenkönnen, eine ständige Erreichbarkeit durch Blicke, Berührungen, auch Küsse.
Eigene Ehekrise als Opernstoff
Robert und Christine Storch sind Richard und Pauline Strauss. Der Komponist hat in seiner „bürgerlichen Komödie mit sinfonischen Zwischenspielen“ im Jahr 1924 eine eigene Ehekrise aus dem Jahr 1902 auf die Bühne gebracht. Damals war der Brief einer gewissen Mieze Mücke in Strauss’ Charlottenburger Wohnung eingetroffen, während der Komponist in den Sommerferien auf der Isle of Wight war. Seine Frau las in Berlin, wie in diesem Brief eine Halbweltdame um Opernkarten und ein Stelldichein „wie üblich an der Bar“ bat. Pauline drohte sofort mit Scheidung, bis sich die Affäre als eine Verwechslung herausstellte und „der Elefant wieder zur Mücke“ wurde, wie der Komponist witzelte.
Nach dem Ersten Weltkrieg und der Ermüdung durch die Zusammenarbeit mit Hugo von Hofmannsthal an der mythologischen Oper „Die Frau ohne Schatten“ suchte Strauss nach leichteren Themen und schrieb sich selbst das Libretto zu „Intermezzo“. Der szenische Bau und die Leichtigkeit der Dialoge hatten Max Reinhardt damals so begeistert, dass er sogar eine Schauspielaufführung erwog. Selbst Hofmannsthal war vom Geschick seines Komponisten als Komödientexter überrascht. Und trotzdem muss man sagen, dass Strauss die Verdichtung des Dialogs zum Aperçu nicht gelingt. Der Konflikt als solcher hat nur eine geringe Fallhöhe, die Sprache nicht den Witz eines Oscar Wilde, wobei „Intermezzo“ klarmacht, dass Wilde – nach der glänzenden „Salome“ – eigentlich der ideale Librettist für Strauss gewesen wäre. „Ein idealer Gatte“, „Ernst sein ist alles“ oder „Lady Windermeres Fächer“ als Konversationsstück für Musik von Richard Strauss kann man sich nach „Intermezzo“ und dessen spätem Nachfolger „Capriccio“ ganz großartig vorstellen.
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The premiere of “Intermezzo” took place a hundred years ago, on November 4, 1924, at the Semperoper in Dresden. At that time, even the stage design reflected the interior of the Villa Strauss in Garmisch. Saskia Wunsch’s stage, stylized like a silhouette, also alludes to Garmisch, just as Alfred Mayerhofer’s costumes refer to the time around 1900. But in his extremely loving production, Ranisch asks the question: What might have been going on in Pauline Strauss’ mind when she saw Richard bring their marital turmoil to the stage? Katharina Pittelkow and Erik Brünner play the Strauss couple in a parallel plot on stage and in the film – by Falko Herold. And you can feel: Pauline is uncomfortable. Becoming the material of a work of art is an infringement. Heiner Müller once said that the artist’s cynicism lies in the fact that everything becomes material for him. Is Strauss also a cynic?
Exactly not. Anyone who reads the libretto of “Intermezzo” may be bothered by the banality of the conflict and the lackluster language, but one cannot help but admire the resilience of Strauss’s marriage, which was based on truly mutual understanding and acceptance. For Ranisch, this admiration becomes theater. “Intermezzo” is a declaration of love to Pauline Strauss, whose quick-tempered, stroppy character was often scandalized by her contemporaries. Ranisch shows that Pauline, who was an important opera singer, not only inspired the character of Christine, but also Salome, Elektra, the Marschallin, the Empress, Arabella and Daphne. All of these characters appear silently, and Richard shows his wife: Look, all of this is you!
Maria Bengtsson in the lead role
Maria Bengtsson, who recently appeared in this role in Berlin, brings the fine drawing and lyrical warmth in her soprano that this Christine needs. Strauss designed her empathetically as a repeat of his Marschallin from “Rosenkavalier”. And Christoph Pohl sings Robert noble, flexible, light and clear. At the same time, he highlights the condescension in Robert’s paternalistic superiority, which in turn shows that Strauss was capable of self-criticism in these moments of oiliness of character. Very excellently, with a lot of butter and sugar in his voice, James Ley sings the money-sneaking Baron Lummer as a seductive straw widow comforter tenor.
Patrick Hahn leads the Staatskapelle Dresden with precision and enthusiasm. He brings out overflowing lyricism from the orchestra as well as the undertones of nervousness and the ready to jump intramarital and extramarital violence. Ranisch, sensitive to such resounding risks of injury, did not turn this “Intermezzo” into an amusement piece, but rather a reflection on the consequences of autofictional writing for the artist’s private relationships. This doesn’t make the piece itself any more brilliant, but it does reveal all of its wisdom.