Womöglich ist Vincent Kompany auch nach fast einem halben Jahr noch überrascht über ein paar Gepflogenheiten beim FC Bayern. Zum Beispiel, dass Uli Hoeneß, der Ehrenpräsident, sagt, was er will, egal, ob der Zeitpunkt der passende ist und es der Mannschaft eher schadet als hilft. Für den Münchner Trainer ist es ganz gut, dass es in dieser Saison bisher ziemlich rund läuft. Das 3:0 am Freitagabend gegen den FC Augsburg war der sechste Sieg ohne Gegentor hintereinander.
Aber auch in so einem Fall schießt Hoeneß gelegentlich über das Ziel hinaus, auf der anderen Seite der Begeisterungsskala eben, wie beim Forum einer Schweizer Wirtschaftszeitung im Kanton Zürich am Abend vor dem Augsburg-Spiel, als er ankündigte, die Meisterschaft angesichts des komfortablen Vorsprungs in der Tabelle bereits zusagen zu können.
Die Bayern nahmen diese etwas spezielle Titelrechnung nach gerade einmal elf Spielen mit Humor. „Er hat halt mehr Erfahrung als ich, vielleicht weiß er es besser“, sagte Kompany. Der Bayern-Trainer hätte es auch anders sehen können: Dass nämlich Hoeneß damit seine Aufgabe torpediert, weil die Mannschaft es als Aufforderung verstehen könnte, ein paar Prozent weniger zu investieren. „Ich glaube, das lässt der Trainer nicht zu“, sagte Joshua Kimmich mit einem Schmunzeln.
Der Gegner steht stief
Gegen Augsburg war es wie so oft in den vergangenen Wochen. Die Bayern sahen sich einem massiven Abwehrriegel gegenüber und mussten viel Geduld aufbringen, um ihn zu knacken. Der Respekt vor dem Rekordmeister ist vor allem bei spielerisch limitierteren Mannschaften wieder auf ein hohes Niveau, die Bayern würden wahrscheinlich sagen, auf ein standesgemäß hohes Niveau, angewachsen.
Das habe man sich „erarbeitet“, findet Sportvorstand Max Eberl, „dass der Gegner tiefer steht, dass er kommt und erstmal sagt, wir müssen gut stehen“. Und gelegentliche Versuche jener Gegner, selbst ein Tor zu schießen, enden meist kläglich. „Wir haben ein gutes Bewusstsein, wie wir angreifen und verteidigen wollen“, sagte Torhüter Manuel Neuer, der auch gegen Augsburg, außer bei Rückpässen nichts zu tun hatte.
Die Sicherheit hat sich auch auf die Defensive übertragen, auf die beiden Innenverteidiger Dayot Upamecano und Min-jae Kim, die in der vergangenen Saison wegen einer hohen Fehlerquote für das eine oder andere Gegentor verantwortlich waren. Dass die beiden endlich ihr Potential abrufen, liegt für Eberl auch an der „Idee, wie wir Fußball spielen wollen. Das passt sehr gut zu beiden.“
„Die Kirsche auf der Torte“
Selbst die verletzungsbedingten Personalwechsel im Mittelfeld haben die Kompaktheit nicht beeinflusst. Leon Goretzka ist schon der dritte Partner für Kimmich in den vergangenen Wochen, ein altbekannter zwar, aber einer, den die Bayern vor der Saison gerne abgegeben hätten, weil er nicht so gut ins System passt und mit einem ziemlich üppigen Vertrag bis zum Sommer 2026 ausgestattet ist. Goretzka wollte bleiben, den Konkurrenzkampf annehmen und ist nach den Ausfällen von Aleksandar Pavlović und João Palhinha vorübergehend wieder Stammspieler.
Gut zu stehen hat am Freitag lange Zeit gegen die Bayern genügt, weil die zunächst nicht so flüssig kombinierten in der eigenen Hälfte, erst nach der Pause den Druck erhöhen konnten. Und dann verschwand Harry Kane wieder mit dem Spielball. Zum vierten Mal in dieser Saison hat er mindestens drei Tore erzielt.
Die ersten beiden per Elfmeter, und das dritte war wohl einer der sehenswertesten in seiner Zeit bei den Bayern, „die Kirsche auf der Torte“, wie Eberl sagte. Unbestätigten Gerüchten zufolge richten die Kanes daheim gerade ein Bällebad für die Kinder ein. Wenn das so weitergeht, sagte Eberl, „haben wir bald keine Bälle fürs Training“.
Die Laune ist prächtig bei den Bayern, die sich gut vorbereitet für die nächsten drei Aufgaben sehen, die schwerer werden dürften, als es die vergangenen sechs Spiele waren. Am Dienstag geht es in der Champions League (21.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Champions League und bei Prime Video) gegen Paris St. Germain, am Samstag tritt der Tabellenführer bei Borussia Dortmund an und drei Tage später empfängt der FC Bayern im Pokal-Viertelfinale den Titelverteidiger Bayer Leverkusen. Alles drei Mannschaften, die nicht die Mauer-Taktik von Augsburg, St. Pauli oder auch Union Berlin wählen werden, aus unterschiedlichen Gründen.
Paris muss gewinnen, wollen sie nicht schon in der Vorrunde der Königsklasse scheitern. Dortmund wird schon aus Prestigegründen und wegen der bisher doch sehr schwankenden Saison versuchen, gegen die wiedererstarkten Bayern den Coup zu landen, der ein paar Ausrutscher in den vergangenen Wochen vielleicht vergessen lässt. Und Leverkusen hat im direkten Duell im Pokal im Moment die besseren Chancen, den Titel zu verteidigen. Denn die Meisterschaft ist ja laut Hoeneß schon verloren für Xabi Alonso.