Nach den Industriegipfeln von Kanzler Olaf Scholz (SPD) und den Gegenveranstaltungen des früheren FDP-Finanzministers Christian Lindner war am Dienstag in Berlin zur Abwechslung Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Gastgeber. Zum siebten Mal seit 2015 tagte das „Bündnis Zukunft der Industrie“ aus Politik, Industrieverbänden und Gewerkschaften. Angesichts der Stellenstreichpläne von Unternehmen wie Thyssenkrupp , Volkswagen , Bosch , ZF und anderen hatte die Konferenz in diesem Jahr eine besondere Bedeutung.
Ginge es nach Habeck, soll der Bundestag noch vor der Neuwahl am 23. Februar die Energiekosten der Unternehmen durch einen Bundeszuschuss zu den Netzentgelten dämpfen. Der beste Weg dafür sei ein Nachtragshaushalt für 2024, sagte Habeck. Das Geld könne aus dem Klima- und Transformationsfonds kommen. Die dort für Intel reservierten Milliarden werden vorerst nicht benötigt, weil das Unternehmen die Pläne für den Bau einer Fabrik in Magdeburg auf Eis gelegt hat.
Es gebe aber auch andere gesetzliche Möglichkeiten für einen solchen Zuschuss, so Habeck. Die Bundesregierung werde das Gespräch mit der „demokratischen Opposition“ suchen. Die Unternehmen brauchten zu den Netzentgelten eine „verlässliche Ansage“. „Wir laufen wirklich gegen die Uhr.“
Russwurm: Zuschuss braucht es „sofort“
Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die IG Metall erhöhten den Druck. Die Unternehmen seien auf international wettbewerbsfähige Stromkosten angewiesen, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Dies sei nur durch einen „signifikanten staatlichen Zuschuss“ möglich, „und zwar sofort“. Er forderte zudem die Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten und die Erhöhung der steuerlichen Forschungszulage.
Beides hatte das Kabinett vor dem Ampel-Aus vereinbart, zu einem Bundestagsbeschluss kam es aber bislang nicht. Der Zweite Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Kerner, sagte zu den geforderten Erleichterungen für Unternehmen: „Wir erwarten, dass sich CDU/CSU der Verantwortung stellen. „Springt über euren Schatten (…) und übernehmt Verantwortung.“
Union mauert
Die Union denkt jedoch nicht daran, die an sie gerichteten Wünsche zu erfüllen: „Die Ampel hat dem Standort Deutschland massiv geschadet. Die rot-grüne Restregierung werden wir bei ihrer hektischen Torschlusspanik nicht unterstützen“, sagte Unions-Fraktionsvize Jens Spahn der F.A.Z. „Deutschland braucht eine echte Wirtschaftswende und eine stabile Regierung, die Vertrauen zurückgewinnt. Dafür sind neue Mehrheiten nötig. Die Bürger entscheiden, wie es weiter geht, nicht Herr Habeck.“ Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Union, Julia Klöckner, attestierte der noch amtierenden Bundesregierung eine „ergebnislose Gipfel-Inflation“.
Habeck, der sich als Kanzlerkandidat für die Grünen bewirbt, äußerte sich auf der Veranstaltung im Berliner Gasometer auch selbstkritisch. Die von der Ampelkoalition beschlossenen Maßnahmen hätten „nicht rangereicht an die Größe der Probleme, die wir zu bewältigen haben“. Weiter sagte er: „Wir hätten auf den russischen Angriff auf die Ukraine mit einem großen Konjunkturpaket reagieren sollen.“ Es brauche eine „verlässliche“ Senkung der Stromkosten für die Unternehmen.
Habeck will mittelfristig von Schuldenbremse abrücken
Aktuell kreist die Debatte vor allem um die Netzentgelte auf den Strompreis. Mit ihnen wird der für eine Versorgung mit Erneuerbaren nötige Ausbau und die Stabilisierung des Stromnetzes finanziert. Den für 2024 vorgesehenen Bundeszuschuss von mehr als fünf Milliarden Euro musste Habeck nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wieder streichen. „Systematisch ist eine Halbierung der Netzentgelte über die nächsten zehn Jahre nötig“, sagte er am Dienstag.
Daneben warb Habeck dafür, das Gesetz zum Bau neuer Gaskraftwerke und die Punkte aus der Wachstumsinitiative noch vor der Wahl im Bundestag zu beschließen. „Die Probleme gehen nicht weg, wenn eine Neuwahl stattfindet.“ Auf mittlere Sicht ist aus Sicht des Grünen-Politikers eine Lockerung der Schuldenbremse unausweichlich. Man könne sich nicht verstecken hinter „Beschlüssen, die vor fünfzehn Jahren in einer anderen Welt, einer anderen Zeit getroffen wurden“. Die 2009 eingeführte Schuldenbremse begrenzt die Höhe der Neuverschuldung auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Neben Energiekosten bestehen noch mehr Probleme
Rückendeckung bekam Habeck von Moritz Schularick, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Kurzfristig führe an einer höheren Kreditaufnahme kein Weg vorbei, sagt er. Schularick berichtete auf der Veranstaltung, dass die Automobilproduktion in Deutschland heute ein Drittel unter dem Niveau von 2017 liege. Zudem gebe es einen „zweiten China-Schock: In den letzten Monaten hat Deutschland zum ersten Mal mehr nach Polen exportiert als nach China.“
Nicht in jeder Branche seien die Energiekosten das Problem, im Maschinenbau spielten sie eine untergeordnete Rolle. Wichtiger sei die Fachkräftefrage. Amerika versuche anders als Deutschland nicht, den Strukturwandel aufzuhalten. „Wir sind vielleicht ein bisschen zu stolz auf unsere Kurzarbeit“, sagte Schularick. Simone Menne von der amerikanischen Handelskammer in Deutschland stellte „eine andere Geisteshaltung“ in den USA fest. Trotz unzureichender Kinderbetreuungsmöglichkeiten arbeiteten Frauen dort mehr.