Mit Schönheit lässt sich Geld machen: Das wussten die beiden erfolgreichen amerikanischen Selfmade-Unternehmerinnen, deren Sammlungen bald bei den herbstlichen Abendauktionen moderner und zeitgenössischer Kunst in New York für vielfache Millionenumsätze sorgen sollen.
Die 1926 in Rumänien als Ioana Maria Banu geborene und im vorigen Dezember hochbetagt gestorbene Mica Ertegun wurde im Zweiten Weltkrieg zum Flüchtling, kam nach Zürich, modelte in Paris und kaufte in Kanada eine Hühnerfarm, bevor sie Ahmet Ertegun heiratete – den Mitgründer und Chef des Plattenlabels Atlantic Records – und mit ihm nach New York zog. Zur Innenarchitektur kam sie dort eher aus Langeweile. Sie habe nicht viel zu tun gehabt, gestand Mica Ertegun sehr viel später in einem Interview, darum habe sie eine Dekorateurschule besucht. Eine folgenreiche Entscheidung: Mit ihrer Freundin Chessy Rayner gründete sie anschließend die Firma MAC II, designte Firmeninterieurs, etwa für das Luxuskaufhaus Saks Fifth Avenue, und wirkte stilbildend für die heimische Einrichtung von Stars wie Keith Richards.
Garantien sorgen für Sicherheit
Bei Christie’s kommt am 19. und 20. November in den ersten zwei von fünf Partien das Beste zur Auktion, das Mica Ertegun mit Geschmack und Kapital zusammentrug: 65 Lose mit einer Gesamterwartung von 143 bis zu 163 Millionen Dollar, die eine Vorliebe für Architektonisches, Innenräume und klare Abstraktionen verraten – allen voran ein auf sagenhafte 95 Millionen Dollar taxiertes Gemälde des Surrealisten René Magritte von 1954 aus seiner Serie „L’Empire des lumières“, die ein nächtlich erleuchtetes Haus unter einem tagblauen Himmel zeigt. Damit ist es nicht nur das teuerste Los der Saison, sondern soll das teuerste je versteigerte Werk des Surrealisten werden. Abgesichert ist es mit einer Garantie von einer dritten Partei. Ein „beträchtlicher“ Anteil des Erlöses soll philanthropischen Zwecken zufließen.
Mit 83 Losen umfangreicher und einer Gesamterwartung von 178 bis 217 Millionen Dollar noch kapitalträchtiger, dafür weniger hochpreisig an der Spitze und entspannter im Umgang mit Garantien tritt die Kunstkollektion von Sydell Miller an, die sich Sotheby’s zu Versteigerungen am 18. und 19. November sichern konnte. Von der Hausfrau in Cleveland zur in Palm Beach fürstlich residierenden Herrscherin über ein Firmenimperium, das mit falschen Wimpern und Produkten für Friseursalons marktführend wurde: Wie Mica Ertegun verwirklichte Sydell Miller den amerikanischen Traum, bis sie im März im Alter von 86 Jahren starb.
Ihre Sammlung strahlt Freude an der Schönheit und eine gewisse Verspieltheit aus. Sicherlich dürfte Sydell Miller in Pablo Picassos vieldeutigem Gemälde „La Statuaire“ von 1925, das bei 30 Millionen Dollar angesetzt wird, weniger eine Statue oder ein weibliches Modell als eine Bildhauerin bei der Arbeit gesehen haben. Als Sammlerin begeisterte sich die Unternehmerin auch für Spitzenwerke von Claude Monet, Wassily Kandinsky, Henry Moore und Yves Klein.
Eine amerikanische Familiengeschichte, die an den Hollywood-Klassiker „Giganten“ erinnert, hat der dritte Privatsammler vorzuweisen, der den Auktionen seinen Stempel aufdrückt: Wie das „Wall Street Journal“ berichtet, ist es der texanische Ölmilliardär Sid Bass, Jahrgang 1942, der sich am 19. November im „20th Century Evening Sale“ bei Christie’s von seinem monumentalen Tankstellenbild Ed Ruschas aus dem Jahr 1964 trennt. Mit einer Taxe von 50 Millionen Dollar geht „Standard Station – Ten-Cent-Western Being Torn In Half“ an den Start.
Surrealismus von einst für eine surreale Gegenwart
Insgesamt kommen in der Abendauktion zum 20. Jahrhundert 56 Lose zum Aufruf, darunter Magrittes enigmatisches Angst-Bild „Les chasseurs au bord de la nuit“ (Taxe acht bis zwölf Millionen Dollar) und für Fans der „L’Empire de la lumiere“-Serie mit etwas bescheideneren Ansprüchen eine Gouache zu sechs bis acht Millionen. Die Abendveranstaltung bei Christie’s mit 44 Losen des 21. Jahrhunderts führt eine Zeichnung des 1988 verstorbenen Jean-Michel Basquiat an – so viel zu Zeiterfassung bei Auktionshäusern. Doch Basquiat wirkt offenbar einfach zu zeitgenössisch für die andere Sektion. Sein unbetiteltes Wachsmalstiftporträt ist mit 20 bis 30 Millionen Dollar durchaus ambitioniert beziffert. Die obere Gesamterwartung für die beiden „Evening Sales“ liegt bei 515 Millionen.
Auch bei Sotheby’s ist Surrealismus angesagt. Hundert Jahre nachdem André Breton sein Manifest veröffentlichte, scheint die Kunstrichtung, in der scheinbar Vertrautes sich in etwas Unheimliches wie aus einem Traum verwandelt, wieder dem Lebensgefühl zu entsprechen. Auch in unserer Gegenwart lösen sich Gewissheiten praktisch über Nacht auf. Bei Sotheby’s haben in der „Modern Evening Auction“ am 18. November surrealistische Künstlerinnen Auftritte: Neben Leonor Fini und Remedios Varo ist Leonora Carrington vertreten mit der Statue „La Grande Dame“ oder „Cat Woman“; fünf bis sieben Millionen Dollar werden für das mit unwiderruflichem Gebot gesicherte Stück von 1951 erwartet. An der Spitze der Auktion mit 33 Losen, die bis zu 150 Millionen Dollar umsetzen soll, steht ein Aktbildnis von Henri Matisse (12/18 Millionen).
Lieber eine zu niedrige Taxe als eine zu hohe
Eine Abgrenzung zwischen zeitgenössischer und ultrazeitgenössischer Kunst spart sich Sotheby’s in der „The Now and Contemporary Evening Auction“ am 20. November. Mit 43 Losen inklusive Cattelan-Banane peilt das Unternehmen einen Umsatz von bis zu 159 Millionen Dollar an. 6,25 Millionen netto können gleich wieder abgezogen werden: So viel wird Sotheby’s zur Beilegung eines Rechtsstreits mit dem Bundesstaat New York zahlen, in dem es um Steuerbetrug von Sammlern ging. Phillips schließlich, das kleinste der großen Auktionshäuser, lässt die 33 Lose im „Modern & Contemporary Art Evening Sale“ von Jackson Pollock anführen. Sein um 1948 entstandenes Drip-Painting ohne Titel wird bei 13 Millionen Dollar eingeordnet.
Zusammengenommen wollen Christie’s, Sotheby’s und Phillips mit rund 1500 Losen um die 1,2 Milliarden Dollar umsetzen – über den Daumen gepeilt ein Drittel weniger als im Vorjahr. Die Wahl Trumps hat die US-Börse gepusht, doch bei den Versteigerern wird weiterhin kühl kalkuliert mit flexiblen Strategien: Es ist ein Trend zu attraktiveren, niedrigeren Vorabschätzungen zu beobachten, da und dort gleichwohl mutiges Vorpreschen in unerwartete Höhen und vielfach die Absicherung durch Garantiegeber.