Schneller im Kopf als die anderen, wer wäre das nicht gerne? Als Eintracht-Stürmer Hugo Ekitiké am Mittwoch von der Mittellinie aus Anlauf nahm und seinen Gegenspieler, Gladbach-Verteidiger Marvin Friedrich, immer tiefer in dessen Hälfte schob, war zunächst eines erkennbar: dass Ekitiké mit den Füßen schneller ist. Friedrich zögerte, 16 Meter vor seinem Tor machte er schließlich einen Schritt nach vorne, und schon war es um ihn geschehen. Ekitiké wackelte kurz, Friedrich drehte sich zur anderen Seite, Schuss, Tor, 1:0.
Die drei, vier Sekunden, in denen der französische Stürmer den Ball mit dem Außenrist vor sich hertrieb, hatte er Zeit, um einen Plan auszuhecken. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Stürmer handelt und der Verteidiger auf ihn reagiert. Aber in welchem Tempo Ekitiké und sein Sturmpartner Omar Marmoush auf die bemitleidenswerten Abwehrspieler zusprinten, ist mehr als gewöhnlich. Gladbach-Trainer Gerardo Seoane nannte es nach dem Spiel einen „Gedankenvorsprung“.
Woche für Woche sitzen in Frankfurt auf dem Podest der Pressekonferenz Trainer, die zu erklären versuchen, wieso ihre Abwehr, in der sie vier oder fünf Leute aufstellen, von zwei Eintracht-Stürmern überlaufen wurde. Mal zucken sie mit den Schultern, es sei eben zu hohe Qualität von gewissen Spielern, mal wollen sie nur über das eigene Team sprechen.
Seoane nahm sich Zeit. Er habe einen Außenverteidiger in die Mitte gezogen, damit immer zwei Gladbacher einen Frankfurter Stürmer am Ball verteidigen. Sei er dann bei Ekitiké oder Marmoush, hätten seine Spieler den Angriff verzögern und sie nach außen drängen sollen, bis Verstärkung aus dem eigenen Mittelfeld da ist. Aber: „Dass das ein oder andere Mal einer davongeht, damit rechnest du. Wir sind nicht die Ersten, die ein Duell gegen solche Stürmer verlieren. Und wir werden auch nicht die Letzten sein.“
Schlampiger „Schlawiner“
Die Nächsten trugen blaue Trikots und reisten vier Tage später aus Bochum an. Acht Minuten waren im Bundesligaspiel am Samstag zwischen der Eintracht und dem VfL gespielt, da zirkelte Marmoush eine Flanke um die Bochumer Abwehr herum, sodass sie genau bei Ekitiké landete. Der nahm den Ball mit links an, legte ihn sich auf den rechten Fuß, drehte die Hüfte kurz ein, und zack – offen war die Lücke. Ekitiké schoss hart, wieder zum 1:0. Der Franzose traf noch einmal, zum finalen 7:2, Marmoush schoss einen Freistoß ins Eck und bereitete zwei Treffer vor.
Welches Tor von Ekitiké denn das schönere gewesen sei, wurde sein Trainer Dino Toppmöller nach dem Spiel gefragt. „Schon das erste Tor“, wegen der Annahme und der Täuschung. Aber Ekitiké sei auch ein wenig schlampig gewesen, hätte mehr Tore erzielen können, sagte er. „Schlawiner“ nannte ihn Toppmöller einmal und erklärte, er müsse ihn hin und wieder kitzeln. Als großes Talent hatte Paris Saint-Germain Ekitiké, damals 20 Jahre alt, 2022 verpflichtet. Fast 30 Millionen Euro zahlten die Pariser. Nur spielte er kaum, die Eintracht lieh ihn schließlich Ende Januar dieses Jahres aus.
Als Ekitiké seine ersten Spiele machte, nahm ihn Toppmöller früher raus oder wechselte ihn erst ein. Weil er in Paris lang nicht mittrainieren durfte, zwickte es immer wieder beim Franzosen. Lange war eine der ersten Fragen an Toppmöller, wann sein Stürmer endlich spielen könne. Dass er es nun alle drei Tage tut und dabei häufig trifft, ist ein Ergebnis von Geduld. Nach zehn Einsätzen wurde Ekitiké fest verpflichtet, für insgesamt 20 Millionen Euro. Ein halbes Jahr später lobt ihn Toppmöller: „Er ist mittlerweile in einem sehr guten körperlichen Zustand. Es geht nicht darum, einmal 90 Minuten zu spielen, sondern das alle drei Tage zu wiederholen.“
Dabei helfen Ekitiké auch die Spiele für die französische U-21-Nationalmannschaft. Seit Anfang September traf er zweimal in drei Einsätzen für das Nachwuchsteam. Würden in Frankreich nicht mehrere Weltklassespieler stürmen, wäre Ekitiké wohl auch schon bei Mbappé, Dembélé, Olise und Co. dabei.
Starkes Duo mit Marmoush
Endlich fit war der mittlerweile 22-Jährige im April. Die Eintracht spielte zögerlich, vor dem Heimspiel gegen Augsburg stand sie unter Druck. Nach 60 Minuten schoss Ekitiké das 2:1 – es war das erste Mal, dass er sein ganzes Talent zeigte, zwei Spieler ausdribbelte und entschlossen ins Eck zielte. Seitdem hat er in 13 Bundesligaspielen achtmal getroffen und drei Tore vorbereitet. Insgesamt kommt er in 29 Spielen für die Eintracht auf zwölf Treffer in allen Wettbewerben, es sind schon jetzt mehr, als er in Paris und bei seinem Heimatklub Reims erzielte.
Am häufigsten trifft Ekitiké, wenn er mit Marmoush kombiniert. Weil einer die Verteidiger ablenke, könne der andere davonlaufen, erklärt ihr Trainer das relativ simple Rezept. Marmoush trifft noch häufiger, schon zehnmal in neun Bundesligaspielen. Auch weil Ekitiké schon vor den anderen 20 Spielern auf dem Platz weiß, wo sein ägyptischer Nebenmann gleich hinlaufen wird. Es ist ein Zusammenspiel, das alles andere als alltäglich ist.
Ob die beiden noch einen zweiten gemeinsamen Sommer in Frankfurt erleben? Wie schnell sie kontern, wie genau sie zielen, das hat sich mittlerweile herumgesprochen. Ekitiké jedoch hat nach einer schweren Zeit in Paris einen Trainer, der mit ihm umzugehen versteht. Zieht es ihn nach Hause, setzt er sich vier Stunden ins Auto nach Reims. Und in Frankfurt ist er gefragt. Als die Eintracht kürzlich in den Herbstferien vor Fans trainierte, riefen viele Kinder seinen Namen. Ekitiké joggte also zu ihnen an die Bande und unterschrieb eine halbe Stunde Bälle und Trikots. Seine Mitspieler standen noch am Mittelkreis. Da war er wieder, der kleine Vorsprung.