Die Delegierten der Weltklimakonferenz COP29 in Baku haben sich in der Nacht von Samstag auf Sonntag nach zähem Ringen doch noch auf eine Neuordnung der Klimafinanzierung geeinigt. Eigentlich hätte die Großtagung der Vereinten Nationen am Freitag zu Ende gehen sollen. Sie musste aber um mehr als einen Tag verlängert werden, da sich die Gesandten der fast 200 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen zunächst nicht darauf verständigen konnten, wie und in welchem Umfang künftig die Projekte in Entwicklungsländern zur Treibhausgasminderung, zur Klimaanpassung und zur Beseitigung klimabedingter Verluste und Schäden finanziert werden sollten.
Zwischenzeitlich stand die Tagung vor dem Aus. Gegen halb drei Uhr am frühen Sonntagmorgen konnte der Präsident der Veranstaltung, der aserbaidschanische Umwelt- und Rohstoffminister Mukhtar Babajew, vor der Versammlung dann aber doch noch einen Konsens bekanntgeben. Zuvor war das Plenum am Samstagabend zweimal vertagt worden. Die zweite Unterbrechung nach Mitternacht erfolgte nach nicht einmal einer halben Stunde und sorgte für ein enttäuschtes Raunen im Saal. Dass die neuerliche Unterbrechung dann deutlich länger dauerte, als von Babajew zunächst angekündigt, soll an Widerständen aus Indien gelegen haben.
Als die Entscheidung dann endlich doch – wie nötig – einstimmig gefallen war, brandete Beifall auf. Babajew fiel erleichtert Simon Stiell in den Arm, dem Exekutivsekretär des UN-Klimarahmenkonvention UNFCCC, der die COP organisiert. Es gab aber auch scharfe Kritik an dem Kompromiss. So nannte die Vertreterin Indiens Leela Nandan das Abkommen einen Rückschlag für das internationale Vertrauen und für den Klimaschutz. Die verabredete Summe sei zu niedrig und komme in voller Höhe erst im Jahr 2035 und damit viel zu spät: „Es tut mir leid, wir können das Abkommen nicht akzeptieren“, sagte sie unter dem Beifall einiger Länder und vieler Vertreter von Nichtregierungsorganisationen. „Dieses Dokument ist nur eine optische Täuschung.“ Den Protest Indien gelte es zu Protokoll zu nehmen.
Kein zusammenfassendes Abschlussdokument
Diesmal gab es auf der COP kein zusammenfassendes Abschlussdokument, auch Mantelentscheidung oder „Cover Decision“ genannt, sondern zahlreiche Einzelpapiere. Das wichtigste und kontroverseste von ihnen trug auch den sperrigsten Namen: Neues kollektives quantifiziertes Ziel zur Klimafinanzierung (NCQG). Das Programm soll das bisher gültige Instrument für die Finanzströme zwischen Industrie- und Entwicklungsländern ablösen. Dieses war auf der Klimakonferenz von 2009 beschlossen und 2015 im Zuge des Pariser Klimaabkommens für den Zeitraum 2020 bis 2025 auf 100 Milliarden Dollar im Jahr festgeschrieben worden.
Das am Sonntag beschlossene sechsseitige Papier zur neuen Klimafinanzierung, das für so viel Ärger und für zwei schlaflose Nächte gesorgt hatte, ist kein Durchbruch, sondern ein Kompromiss. Es legt fest, dass die Klimafinanzierung aus aller Welt bis 2035 auf 1300 Milliarden Dollar jährlich aufwachsen soll. Für diese Summe will man sämtliche Quellen des globalen Finanzsystems heranziehen, öffentliche wie private. Diese werden nicht genauer spezifiziert. Entscheidend ist die Passage, die mit Rückbezug auf das Pariser Klimaabkommen unter die Verantwortung der Industrieländer fällt. Darin heißt es, dass die Zahlung an die Entwicklungsländer von heute 100 Milliarden Dollar bis 2035 auf „mindestens 300 Milliarden Dollar“ im Jahr steigen soll, und zwar „unter Leitung der Industrieländer“.
Damit bieten Letztere im Vergleich zum ersten Entwurf von Freitag den Empfängern jährlich 50 Milliarden Dollar mehr an. Die Entwicklungsländer, etwa die Gruppe der Afrikanischen Staaten und die Vereinigung „G77 plus China“ hatten mindestens 500 Milliarden Dollar verlangt, und zwar ausschließlich von den bisherigen Industrieländern. Die neue Regelung lässt aber zu, dass sich auch Staaten engagieren, die nach der noch immer gültigen UN-Liste von 1992 nicht zu den Industriestaaten gehören, obwohl sie inzwischen zu Wohlstand gelangt sind und ihrerseits hohe Emissionen ausstoßen.
Entwicklungsländer werden „ermutigt“, Beiträge zu leisten
In der Formulierung, welche die Industrieländer hineinverhandelt haben, heißt es, dass auch Entwicklungsländer „ermutigt“ würden, Beiträge zu leisten. Das könne aber auch außerhalb des neuen Mechanismus untereinander erfolgen, „von Süd nach Süd“. Außerdem verbleiben die Zahlungen freiwillig und können auch über multilaterale Entwicklungsbanken erfolgen. Damit sind die Verhandler dem potentiellen Zahler – und größten Treibhausgasemittenten – China entgegengekommen, das sich nicht auf feste offizialisierte Zuwendungen festlegen und schon gar nicht den Status als Entwicklungsland aufgeben will.
Die 300 Milliarden können aus vielen Quellen stammen, privaten und öffentlichen, bilateralen und multilateralen. Wichtig war den Industrieländern auch, dass die Zahlungen in einen Zusammenhang „mit bedeutenden und ehrgeizigen Anstrengungen zur Treibhausgasminderung und zur Klimaanpassung“ stehen müssen und dass es bei der Umsetzung transparent zugehen müsse.
Im Vergleich zu früheren Entwürfen hinzugekommen ist ein sogenannter „Fahrplan von Baku nach Belém zu den 1,3 Billionen“. In der brasilianischen Stadt Belém findet im kommenden Jahr die COP30 statt. Das umfassende Ziel der Klimafinanzierung für Entwicklungsländer von mindestens 1,3 Billionen Dollar im Jahr 2025 will das Papier unter anderem durch eine Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit erreichen. Es gehe darum, zusätzliche Finanzquellen aufzutun, um den Treibhausgasausstoß zu verringern, die Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel zu erhöhen und um die Nationalen Anpassungspläne und die Nationalen Klimabeiträge umzusetzen. Hier wird auch hervorgehoben, dass nichtzurückzahlbare Zuschüsse und zinsvergünstigte Kredite im Vordergrund stehen müssten, um die Verschuldung der Empfänger nicht zu erhöhen. Darauf hatten die Schwellen- und Entwicklungsländer gedrungen.