Der wichtigste Vorteil des Angreifers gegenüber seinem Verteidiger ist, dass er weiß, was er als nächstes tut. Er weiß, wann er schießen wird; er weiß, ob er schießen wird. Und wenn es ein außergewöhnlich guter Angreifer ist, dann tut er Dinge, die der Gegner nicht voraussieht.
Als Hugo Ekitiké kurz vor der Halbzeit im Bremer Strafraum Richtung Ball spurtete, ahnten nicht viele im Stadion, was er als nächstes tun würde. Denn statt den Ball mit dem linken Fuß direkt aufs Tor zu schießen, oder ihn anzunehmen und mit rechts zu schießen, wie das die meisten Stürmer getan hätten, drehte er sich aus dem Vollsprint leicht in die andere Richtung – vom Tor weg.
Er ließ den Ball über die Innenseite seines linken Fußes gleiten und an sich vorbeirollen: Zu Mario Götze, von dem Dino Toppmöller, das hatte er vor dem Spiel halb im Scherz gesagt, ein Tor erwartete in seinem 100. Spiel für die Eintracht. Und natürlich erfüllte Götze seinem Trainer diesen Wunsch an dessen 44. Geburtstag. Sein Schuss flog ins linke obere Eck.
Götze erzielte dieses 1:0 in einer Phase, in der es schien, als ob die Frankfurter Mannschaft während der Länderspielpause ein wenig von ihrem Momentum verloren hätte, vom Selbstverständnis der vergangenen Wochen. Aber am Ende sollte dieses Tor reichen, um das Spiel zu gewinnen, um vorbeizuziehen an RB Leipzig auf Platz zwei in der Tabelle.
Wer eine Welle reitet, hat keine Zeit zum Verschnaufen
Erster Bayernverfolger, das ist nun Eintracht Frankfurt. Und natürlich wurden sie hinterher gefragt, ob sie nun nicht auch nach oben schielen, nach Süden, zum Favoriten aus München. Aber nein: „Wir müssen die Kirche im Dorf lassen“, sagte da der Sportvorstand Markus Krösche. Zumal ihm auch einiges nicht gefallen hatte an diesem Abend: Fahrig sei die Mannschaft gewesen, zu viele einfache Fehler habe sie gemacht.
Vor diesem Flutlichtspiel war aus Sicht der Frankfurter die große Frage gewesen, ob die Länderspielpause zuvor gerade zur rechten Zeit gekommen war – oder genau zur falschen. Einerseits tat es allen gut, einmal durchzuatmen: Den Fans, die ihre Emotionen sortieren konnten, den Spielern, die all die wilden Spiele in den Oberschenkeln und den Wadenmuskeln spürten. Andererseits: Wer eine Welle reitet, hat keine Zeit zum Verschnaufen. Nicht, dass man den Flow verliert.
In den ersten Minuten dieser Partie aber sah es nicht so aus, als seien Frankfurts Fußballer aus dem Tritt gekommen. Sie griffen früh an, jagten dem Ball schon vorne am Bremer Strafraum hinterher. Werder merkte man die Sorge an, von den schnellen Männern in den weißen Trikots übertölpelt zu werden. Diese Vorsicht führte zu den Ballverlusten in der Mitte des Spielfelds, dort wo der Weg zum Tor kurz ist.
Ole Werner hatte davor vor dem Spiel gewarnt, doch die Eintracht nutzte ihre Gelegenheiten nicht. Ein erster Schuss von Marmoush zischte übers Tor, als Hugo Ekitiké einmal allen entwischt war, verkümmerte sein Lupfer. Und als die Bremer die ersten Angriffe überstanden hatten, besannen sie sich auf die eigenen, eingeübten Abläufe.
En Spiel der unvollendeten Angriffe
Die sehen lange Pässe in die Spitze vor, in die Räume zwischen den Verteidigern. Mitchell Weiser und Derrick Köhn erliefen sich diese Bälle, oder sie kamen zu Marvin Ducksch, der seinen Bewachern gern unauffällig davonschleicht. Am Ende eines solchen Angriffs hätte Köhn, der von links aufs Frankfurter Tor zustürmte, das Führungstor erzielen können, aber er vergaß, dass er auch mit seinem rechten Fuß aufs Tor schießen durfte. Es war ein Spiel der unvollendeten Angriffe, in dem Bremen zunehmend das Geschehen diktierte. Bis Ekitiké kurz vor der Pause den Geistesblitz hatte, der den Ball zu Mario Götze und die SGE in Führung brachte.
Man hätte nun erwarten können, dass es wilder werden würde in der zweiten Hälfte. Schließlich liegt den Überfallexperten aus Hessen nichts mehr als ein Gegner, der gezwungen ist, ins Risiko zu gehen: Dann entstehen jene Freiräume, angesichts derer sich Frankfurts schnelle Stürmer die Hände reiben. Aber Werder war nicht so wagemutig, dass sie die eigene Hälfte ganz entblößten. Und wenn doch mal Platz war für die Eintracht, dann fehlte Marmoush und Ekitiké die Schnörkellosigkeit der vergangenen Wochen.
Man habe ein Spiel gewollt, „das nicht nur wild ist, nicht nur rauf und runter geht“, sagte Ole Werner hinterher. Was allerdings auch dazu führte, dass Werder in der zweiten Halbzeit kaum dazu kam, den Ball aufs Tor zu schießen. Und weil zum Schluss, als Bremen doch nochmal etwas probierte, Mitchell Weiser und Marvin Ducksch die Genauigkeit fehlte, blieb dieses Spiel eines der unvollendeten Angriffe. Eines, das in dem Moment entschieden wurde, als Hugo Ekitiké schneller im Kopf war als sein Verteidiger.